Haskala

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Beginnen wir mit einem Mord. Am 6. September 1848 wird auf die Familie des Reformrabbiners im galizischen Lemberg, Abraham Kohn, ein Giftanschlag verübt. An einer mit Arsen versetzten Suppe sterben Rabbi Kohn und seine jüngste Tochter. Galizien gehört damals zur Habsburger Monarchie. Kohn war 1844 aus Vorarlberg nach Lemberg gekommen, um eine Reformgemeinde aufzubauen. Die Tat wird traditionalistischen Kreisen der jüdischen Gemeinde zugeschrieben, ein mutmaßlicher Mörder wird allerdings nicht rechtskräftig verurteilt.1)

In den folgenden Jahrzehnten ist der Mord Gegenstand innerjüdischer Rezeption. Das Verbrechen wird überwiegend im Lichte eines tiefen Konfliktes zwischen der tradierten religiös-kulturellen Welt des Ostjudentums und Reformbemühungen gesehen, die aus der Aufklärung innerhalb des Judentums hervorgingen – der sogenannten Haskala. Aufklärung bedroht Aberglauben, Regelwerke und Dogmen und eine Gemeinschaft, die aus ihnen ihre Sicherheit schöpft. Das ist der Kern des Konfliktes, unabhängig von Ort, Zeit und handelnden Personen.

Haskala heißt auch der Blog der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König. Ihre Partei „Die Linke“ stellt gegenwärtig den Ministerpräsidenten. Für Suchmaschinen hat Königs Aufklärung eine größere Relevanz als das historische Vorbild: Sie steht an erster Stelle der Ergebnisliste. Katharina stammt aus evangelischem Pfarrhause. Was sie mit der jüdischen Aufklärung verbindet, ist unbekannt.

Wissen ist Macht

Schwerpunkt ihres Wirkens ist seit vielen Jahren der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Thüringen. Das NSU-Böse kommt aus der beschaulichen Mitte Deutschlands. Im November 2011 enttarnt es sich. Katharina, die Reine, will es austreiben. Das Ausmaß mutmaßlicher mörderischer Kumpanei von Behörden, Schlapphüten und Naziterroristen lässt bisherige Verschwörungstheorien der Linken blass aussehen wie das kalkige Gesicht des THS-Kerlchens Brandt. Der Verfassungsschutz als natürlicher Feind der Linken ist selbst unter Verdacht geraten.

Als 2012 der erste Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages zum NSU-Komplex zusammentritt, wird Katharina König engagiertes Mitglied. Unter den NSU-Ausschüssen bundesdeutscher Landtage gibt es ein Alleinstellungsmerkmal Königs: Sie protokolliert die Sitzungen dieses Untersuchungsausschusses in hoher Qualität auf ihrem Blog.

Ihre Haskala-Protokolle sind eine wichtige Quelle für die Aufklärung des Geschehens am 4. November 2011 geworden und unverzichtbar in Verbindung mit den vom Arbeitskreis NSU geleakten Aktenteilen des BKA zum Abgleich von Aussagen, Indizien, Chronologien.

Diese Protokolle sind seit Kurzem verschwunden. Aufklärerin König hatte sie zunächst kommentarlos vom Netz genommen und damit für Irritation gesorgt.

haskala_screenshot

Für die Bloggergruppe AK NSU, mit der sie eine virtuelle Hassliebe verbindet, eine Steilvorlage. Neben BKA-Aktenteilen leakte der Arbeitskreis jetzt auch die Haskala-Protokolle in ihrer unbearbeiteten Form. Denn die Protokolle müssen korrigiert werden, wie Katharina jetzt nachschob. Sie gefährdeten bisher die Persönlichkeitsrechte derer, für die sich niemand interessiert.

Wir haben zur Zeit die Ausschussprotokolle vorübergehend von der Seite genommen, in wenigen Wochen sind sie aber wieder online. Hintergrund ist, dass wir zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Personen, die weniger in der Öffentlichkeit stehen, zum Beispiel einfache Mitarbeiter oder Personen, die keine Führungsfunktionen ausüben oder anderweitig im medialen Fokus stehen, die Namen abkürzen. Aus dem einfachen Feuerwehrmann „Peter Müller“ würde dann ein „Feuerwehrmann Peter M.“ werden.

https://haskala.de/2015/11/30/in-eigener-sache-nsu-untersuchungsausschussprotokolle-bald-wieder-online/

Nur, wie viele Protokolle betrifft das wirklich? Wie glaubhaft ist die Begründung für die Sperrung aller Dokumente? Die späte Stellungnahme Königs darf getrost als Reaktion auf den spöttischen Kommentar des NSU-Arbeitskreises gewertet werden.

Die via Twitter ausgetragenen Sticheleien zwischen Arbeitskreis und „Antifa-König“ sind Beweis einer Kommunikation. Sie dürfte mitbekommen haben, dass die Haskala-Protokolle nicht mehr rückstandsfrei entsorgt werden können.

Der Mossad wars

Der Mossad exekutiert keine Leute, es sei denn, sie haben Blut an den Händen. Dieser Mann würde das Blut israelischer Kinder an den Händen haben, falls er sein Projekt vollenden würde. Warum also warten?

Victor Ostrovsky, Der Mossad

Man kann sich an fünf Fingern abzählen, dass das Interesse Königs eigener politischer Familie an den Protokollen um so stärker erlahmt, je gefährlicher sie dem staatlichen Mythos vom Naziterrortrio werden. Haskala-Aufklärung kann also durchaus bei denen unbeliebt sein, für die sie gedacht ist.

Wenn die Aufklärerin den Zugriff für alle verhindern wollte, die sie dem „feindlichen Lager“ zuordnet oder im verschwörungstheoretischen Abseits wähnt, dann war die Schredderaktion ein Schuss ins Knie. Manipulationen über die angekündigten Anonymisierungen hinaus fliegen nun jederzeit auf.

Mit ihrem Vorgehen verstärkt sie nebenbei jenes Misstrauen, das sie bei den Verschwörungsheinis amüsiert. Ein Misstrauen, dass die Linke selbst lange pflegte. Da traute man dem Staat als „Instrument der herrschenden Klasse“ noch so ziemlich alles zu. Eine der geforderten Konsequenzen aus dem sogenannten NSU-Komplex war ein tiefgreifender Umbau der Sicherheitsarchitektur bis hin zur Abschaffung des Verfassungsschutzes. Davon ist keine Rede mehr.

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Die Hypothese von der Ermordung der Uwes unter Mitwirkung und Mitwissen von Diensten ist zunächst nicht weniger unwahrscheinlich, als die Hypothese des erweiterten Suizids, die Polizeidirektor Menzel vorschnell aufstellte und die das BKA nicht schlüssig verifizieren konnte. Das mag einem persönlich gefallen oder nicht.

Die durchaus plausible Spekulation einer Verstrickung türkischer Geheimdienste in die damals noch als Döner-Morde bezeichnete Verbrechensserie, wie sie noch Anfang 2011 vom ehemaligen Nachrichtenmagazin „Spiegel“ veröffentlicht wurde,2) hat niemand mit dem Ironieversuch „der MIT war‘s“ goutiert.

Absurd wird es, wenn die Mittäterschaft deutscher Dienste an der Ermordung von Migranten für denkbar gehalten wird, die Mittäterschaft deutscher oder fremder Dienste bei der Ermordung von „Neonazis“ aber als verschwörungstheoretischer Blödsinn gilt.

Ziel alternativer Aufklärung aber ist nicht ein Verschiebebahnhof Mossad, sondern die (Wieder-)Aufnahme von Ermittlungen zu den Ceskamorden, dem Heilbronner Polizistenmord und den im Stregdaer Wohnmobil aufgefundenen Leichen.

Wenn die quasioffizielle Darstellung einer Selbsttötung aus einer Vielzahl von Gründen nicht stimmen kann, dann sind die Ermordung von Mundlos und Böhnhardt oder eine sonstige Tatortinszenierung ebenso vertretbare Hypothesen, die in gleicher Weise geprüft werden müssen. Es sei denn, die Aufklärung des unnatürlichen Todes zweier „Neonazis“ ist aus ideologischen Gründen nicht wünschenswert. Vorurteilsfreie Ermittlungen der Polizei gehörten ebenfalls mal zu den populären Forderungen der Linken.

Noch sind die Original-Protokolle auch auf der Website des Rechtsextremismusexperten Hajo Funke abrufbar. Wenn Sie wissen wollen, wie er’s gerade mit der Aufklärung hält, geben Sie zuweilen den Suchbegriff Haskala ein.

 


1) http://www.hohenemsgenealogie.at/gen/getperson.php?personID=I0690

2) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-77108510.html

 

11 Gedanken zu “Haskala

  1. leakte der Arbeitskreis jetzt auch die Haskala-Protokolle in ihrer unbearbeiteten Form.
    Nicht ganz, wenn ich irre. Die Protokolle wurden aus den Webseiten, die ca. 50% Redundanz aufweisen, extrahiert und auf ihren Textgehalt nebst Grafiken reduziert, sofern diese verfügbar waren.
    Eine Bearbeitung fand statt, aber ohne den Inhalt zu verändern.

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  2. Die Haskala-Ticker sind auch und insbesondere ein Zeugnis der nicht erfolgten Aufklärung des 1. Ausschusses, als König und Renner noch Opposition waren. Das Tickerprotokoll der Aussage von der Ingewahrsamnahme und Überprüfung von UB und BZ in Chemnitz und den neuen Papieren ist da DAS Paradebeispiel überhaupt (Aussage Kleimann TLKA)

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  3. Da morgen der TUA wieder tagt, werden wir sehen wie schnell das Protokoll im neuen Kurznamen-Design auf Sender ist.

    Welche tatsächlichen Gründe für den temporären Rückzug der alten Protokolle vorliegen, bleibt Spekulation. Du hast eine Sicht dargestellt.
    Das Thema Persönlichkeitsrechte greift aber bei dir zu kurz. Es ist ein echtes Thema.

    Vor dem UA erscheinen auch Leute, die kleine Lichter sind. Sie werden verpflichtend und nicht freiwillig, ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Sie können sich gegen diese Präsenz nicht wehren und auch nicht gegen ihr Vorführen in Foren. Ganz vorne der AK NSU.
    Ein Hajo Funke ist jeden Nagel wert, mit dem er an die Wand genagelt wird.
    Einen kleiner Rettungssanitäter dagegen an den Pranger der eigenen polemischer Rechthaberei zu stellen, ist schlicht respektlose Arroganz. Oft auch inhaltlich falsch, wie das Bashing aus Nahost bezüglich Notarzt. Der kleine RT hatte ein Problem angesprochen, was den Rettungsdienst allgemein bewegt und nicht den NSU. Am Mekongdelta muss man so was nicht wissen, dann darf man sich aber auch zurücknehmen oder man wird zurückgenommen. Der AK soll ja aus mehreren bestehen. Da kann man vielleicht mal Festlegungen zum Niveau treffen.

    Ob jetzt ein Namenskürzel mehr Schutz darstellt, sei dahingestellt. Zumindest bei Namensrecherchen ist der Betroffene nicht gleich automatisch auch mit seiner NSU-Karriere auf dem Radar.

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    • Jetzt mal ehrlich: Wie lange dauert das Anonymisieren des Feuerwehrleute-Protokolls mit Finden-und-Ersetzen-Funktion? Inklusive Lesebrille suchen, Nickerchen und Kaffeekochen schätzungsweise zehn Minuten. 😉

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      • haha … wo steht denn, das man sich beeilen will.
        Umgekehrt macht es aber auch keinen Sinn, sie aus dem Verkehr ziehen zu wollen.
        Kann auch nicht der Grund sein.
        Wer wollte hat sie. Funktion Drucken, Button PDF, speichern in Ablage.
        Inklusive Nickerchen und Kaffeekochen unter 10 Minuten … ;-))

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    • Das Anonymisieren soll in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Wenn sie den Termin halten will, muss sie sich bei fünf Abkürzungen pro Protokoll ganz schön ranhalten. Da bleibt anderes auf der Strecke. 😉

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  4. Pingback: Haskala. Von parlograph | NSU LEAKS

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